Vivinox

Sie hatte ihm gesagt, daß sie sich von ihm trennen wolle. Und sie hatte ihm aber auch gesagt, nach langen Gesprächen, daß sie nochmals darüber nachdenken wolle und müsse.

Das war nun drei Wochen her und er hatte nicht das Gefühl, daß sie sich viele Gedanken gemacht hatte. Denn es hatte sich nichts geändert.

Es gab seit dem Gespräch keinerlei Zärtlichkeiten. Keinen Abschiedskuß, keinen Gute-Nacht-Kuß, keine Umarmung.

Das Thema wurde totgeschwiegen. Und das, obwohl er ihr zwischenzeitlich einen Brief geschrieben hatte. In der Hoffnung, wenn sie schon nicht mit ihm sprechen konnte oder wollte, er dann doch wenigsten einen schriftliche Antwort bekäme. Aber Pustekuchen. Keinerlei Reaktion.

Mittlerweile hatte er sich fast an diese eigenartige Situation gewöhnt. Die Stiche, das Zuschnüren des Magens setzten nur noch selten ein. Immer dann, wenn er an die gute Zeit dachte. Wir zärtlich sie gewesen war, und wie verschmust.

Und gestern saßen sie am Küchentisch gegenüber. Er hatte das Essen vorbereitet und den Tisch gedeckt. Doch sie hatte plötzlich keinen Hunger. Sie blätterte in einem dicken Katalog. Er aß langsam und sah sie verstohlen an. Betrachtete sie eingehend. Und plötzlich wußte er: Es ist zu Ende. Dies war nicht mehr die Frau, in die er sich verliebt hatte.

Der Schock blieb aus. Nur Wehmut und tiefes Bedauern erfüllte seine Gefühle. Er wußte nicht, warum es so gekommen war. Noch vor paar Monaten hatten sie sich geliebt. Konnte Liebe so schnell verfliegen?

Den Abend verbrachten sie gemeinsam vor dem Fernseher. Wie fast jeden Abend. Daran hatte sich nichts geändert.

Und als sie dann endlich im Bett lagen und sie ihm (wie immer) eine gute Nacht gewünscht hatte, kamen die Gedanken.

Er hatte sich in der Hochphase seiner Depressionen, kurz nach dem Bekanntwerden der Trennungsabsichten, Schlaftabletten besorgt. Starke Tabletten, jedenfalls nach Aussage des Herstellers. 60 Stück sollten reichen. Sorgfältig durchdachte er seinen Plan.

Am anderen Morgen stand er noch vor dem Weckerklingeln auf. Sie wollte länger schlafen, da es ihr am Vorabend nicht so gut gegangen war. Nach der üblichen Morgenzeremonie setzte er sich in die Küche und schrieb einen Zettel:

Guten Morgen mein Stern! Es tut mir leid, daß alles so gekommen ist. Aber die schöne Zeit mit dir, in der ich jede Sekunde genossen habe, wiegt bei weitem die letzten Wochen auf. Und deshalb fällt es mir besonders schwer dir zu sagen: ICH WERDE NICHT ZURÜCKKOMMEN.

Du warst mein Stern, du bist mein Stern und du wirst mein Stern bleiben.

Ich liebe dich. Dein….. Dein….. Dein…..

Er packte seine Tasche für die Arbeit. Legte die Tabletten dazu und auch die Flasche Schnaps, die er von seinem Arbeitgeber zu Weihnachten bekommen hatte. Dann fuhr er los. Den Tag würde er genauso verbringen, wie alle anderen auch. Dann würde er sich ins Auto setzen. Die Tabletten mit Alkohol herunterspülen. Gute Musik hören und warten, daß er einschlief und nicht mehr erwachte.

Als sie aufstand, war er längst auf der Arbeit. Wie immer führte sie ihr erster Gang in die Küche, um Wasser für ihren Cappuccino anzustellen. Und ihr Blick fiel auf den Zettel. Und wie gewohnt achtete sie zunächst nicht darauf. Nachdem sie im Bad fertig war, und das Wasser gekocht hatte, nahm sie ihren Cappu, die übliche Zigarette und auch den Zettel mit auf die Terrasse.

Sie setzte sich, zündete die Zigarette an und begann zu lesen. Danach legte sie den Brief an die Seite. Sie rauchte hastig, denn es war kalt. Dann nahm sie das Blatt erneut und las. Und plötzlich breitete sich eine innere Unruhe aus. Sie war die Zigarette in den Ascher und suchte drinnen nach dem Telefon. Hastig tippte sie die Nummer ein und wartete ungeduldig, daß sich ihre Schwester meldete. „Hallo, ich bin’s“, sagte sie in den Hörer. „Ich hab hier gerade einen Zettel gefunden, wo er schreibt, daß er nicht zurückkommt. Was soll ich davon halten?“ Die Nervosität wurde größer. „Lies mal vor“, meinte ihre Schwester. „Hat er was mitgenommen?“

Sie ging mit dem Telefon von Raum zu Raum. „Nein, alles so wie immer“. „Wo will er denn hin?“ „Keine Ahnung, das ist es ja“. In ihr keimte ein Verdacht. „Du, ich geh mal eben rüber zu Iris, vielleicht weiß die was. Ich ruf dich zurück“.

Es dauerte nicht lange, bis sich ihre Schwester wieder meldete. „Wenn du Zeit hast, komme zu uns. Iris weiß auch nichts, aber sie hat ein ganz mulmiges Gefühl“. Diese Bemerkung bestärkte ihre Unruhe und mit zittrigen Beinen bestieg sie ihr Auto. Nur gut, daß sie nicht weit fahren mußte.

Bei ihrer Schwester gab’s erstmal einen Kaffee. Und dann saßen sie da und rauchten. Und dann beendet Iris das Schweigen: „Ihr wißt, was das heißen könnte?“ Beide nickten. „OK, dann laßt uns anrufen. Gib mal seine Handynummer. Oder willst du selbst anrufen“. SIE nickte. Fahrig tippte SIE seine Nummer und wartete.

ER saß am PC und arbeitete. Sein Handy klingelte. Er betrachtete das Display und sah die Nummer IHRER Schwester aufleuchten. Er hatte mit einem Anruf gerechnet und nahm das Gespräch nicht an. Insgeheim hat SIE ihm Leid.

Einige Minuten später klingelte SEIN Telefon auf dem Schreibtisch. Seine Kollegin meinte nur: „Für dich“. SIE war es.

„Hi, ich hab deinen Zettel gefunden. Du schreibst, du kommst nicht zurück. Wo willst du denn hin?“ „Du weißt wohin“, antwortete er. „Nein, weiß ich nicht“, gab sie zurück. „Komm bitte zurück“. „Du meinst es wirklich ehrlich?“ fragte er. „Ja, ich meine es ehrlich. Komm bitte zurück“.

Das war der Fehler in seinen Überlegungen gewesen. Er hatte nicht bedacht, daß SIE ihn anrufen würde. Was sollte er jetzt tun? Eigentlich war er fertig mit dieser Welt. In den letzten Tagen hatte er immer mehr gespürt, daß er nicht in diese Welt gehörte. Anderseits würde er alles dafür tun, wieder mit IHR glücklich zu sein.

„Kommst du?“ kam es leise aus dem Telefonhörer.