Frühstück

Er saß da, an dem gedeckten Frühstückstisch und hatte einen Kloß im Hals.

Früher hatte er gern schön romantisch gefrühstückt. Auch gern mal allein. Aber heute…

Er hatte den Tisch gedeckt, mal wieder das Radio angemacht. Und nun saß er da, bei Brötchen, Marmelade, Aufschnitt, Eiern, Kaffee und hatte einen Kloß im Hals. Im Radio lief gerade „Fury in the Slaughterhouse“. Und er merkte, wie ihm die Tränen in die Augen traten.

Dabei war er eigentlich mit guter Laune aufgestanden. Endlich mal wieder. Die ganze Woche hatte genervt. Beim Zahnarzt und beim Friseur hatte er sich in die Zeitschriften vertieft, nicht gemerkt wie die Zeit umging. Zu Hause hing er durch. Lebte fast wie auf einer Insel. Kaum Kontakt zur Außenwelt. Hatte erschrocken beim Friseur im Spiegel sein graues Gesicht gesehen. Er trug sein Innerstes auf dem Gesicht. Genauso sah es in ihm aus. Er mußte wieder Farbe in sein Leben bringen. Und deshalb war er überrascht, als er heute morgen mit guter Laune aufwachte.

Und nun saß er da allein am Frühstückstisch, hörte Musik, brachte kaum einen Bissen herunter unter fühlte. Immer wieder hatte er versucht, die ganze Sache mit dem Kopf anzugehen. Aber das war unmöglich, das hatte er eingesehen. Leider war das bei Gefühlen anders. Man konnte nicht sagen, „Schluß jetzt, fühl was anderes“. Wie man sagen konnte „Schluß jetzt, denk was anderes“, oder „nicht mehr dran denken“. Gefühle ließen sich nicht lenken. Die kamen und gingen. Meistens kamen sie bei ihm mit Macht und gingen ganz leise. Ließen ihn zurück in seiner Welt aus Trauer, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit.

In lichten Momenten, da wußte er, das er da aus dieser Welt heraus mußte. Und manchmal dachte er, er hätte es geschafft. Dann hatte ihn die rationale Welt wieder. Aber genauso schnell, oder sogar schneller war er wieder von Sinnlosigkeit erfüllt.

Nur eins hatte sich im Laufe der Zeit geändert. Er versank nicht mehr in dumpfe Depressionen. Spielte nicht mehr mit dem Gedanken, die andere Welt zu betreten. Die andere Welt, die eigentlich nur besser sein konnte, als diese. Diese Schwankungen zwischen totalem Glücksgefühl (beim Sport) und diesen tiefen Depressionen, in den er sich überlegte, welches die schnellste und schmerzloseste Methode für einen Selbstmord wäre, waren einem gleichbleibendem Gefühl gewichen. Eine ständige Melancholie hatte ihn im Griff. Er fühlte sich einsam und verlassen. Unternahm jedoch auch nichts, um diesen Zustand zu ändern. Das konnte er mittlerweile selbst einsehen.

Er nippte am Kaffee. Mist, der war kalt. Er sah auf die Uhr. Wie immer, wenn er seinen Gedanken nachhing, verließ ihn jedes Zeitgefühl. Der Hunger war vergangen. Doch bevor er abräumte, steckte er sich noch eine Zigarette an. Die erste heute morgen. Wenigstens das hatte er im Griff. Er rauchte viel weniger. Aber warum sollte er aufhören? Warum sollte er irgend etwas? Jeden Abend im Bett dachte er „Und wofür war dieser Tag wieder gut?“

Und dann überlegte er, daß es vielleicht doch besser wäre, nicht mehr zu leben. Aber er überlegte nicht, wie er das ändern konnte. Er wünschte sich nur, einzuschlafen und nicht wieder aufzuwachen. Und manchmal, beim Radfahren, oder wenn er sich sonst wie anstrengte, dachte er, warum kann jetzt nicht einfach das Herz stehen bleiben. Dann wäre alles vorüber.

Langsam erhob er sich und brachte das Geschirr und die Lebensmittel in die Küche. Stellte Teller und Tasse in das Spülbecken. Und stutze. Irgend etwas fehlte. Ja, richtig. Ein Geräusch fehlte. Das Brummen des Tiefkühlschrankes. Ein Vermächtnis seines Bruders. Er sah sich um und entdeckte, daß das Kontrolllicht nicht mehr funktionierte. Vor dem Gerät hatte sich schon ein kleiner Wasserfleck gebildet. Er bückte sich, um den Schalter wieder einzudrücken. Er hörte es knistern, dann durchfuhr ihn ein riesiger Schmerz. Dann nichts mehr. Die Kontrolllampe erlosch.